von-Loeper-Rede bei Montagsdemo

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Starke Schiene, Klimaschutz und Umsteuern für den Deutschland-Takt

Die neue DB-Konzernstrategie und S21 –  MontagsDemo in Stuttgart am 24.06.2019
Dr. Eisenhart v. Loeper, RA & Sprecher,  Aktionsbündnis für den Umstieg von S21

Dem Demoteam und Euch allen, liebe Freundinnen und Freunde, auch den neu Zuhörenden, danke ich, zu Euch sprechen zu dürfen.

Ja, es freut mich, mit Euch für unsere Sache einzustehen und Euch zu berichten. Mein Co-Sprecher im Aktionsbündnis Norbert Bongartz hat ja sogar vor drei Wochen inszeniert, dass Ihr mir „Viel Glück und viel Segen“ gesungen habt. Das gilt auch für Euch. Denn wir alle sind mit unzähligen anderen da, zum Gelingen  dieser großartigen Bürgerbewegung beizutragen. Das beginnt mit einer spürbaren inneren Stärke, die Zutrauen schafft für das Oben-Bleiben.

Letzte Woche fuhren über zwei Dutzend Freundinnen und Freunde – ich auch – nach Berlin, weil der Bahn-Vorstand mit dem Aufsichtsrat an zwei Tagen eine Strategiesitzung und seinen regulären Aufsichtsratstermin abhielt. Näheres, auch der Ort, waren geheim. Wir aber, gewitzt genug, spielten der Bahn ein Schnippchen und kamen auf die richtige Spur. Bei bestem Kaiserwetter gelang es uns, vor den Toren der DB-Akademie am Kaiserbahnhof in Potsdam gemeinsam zu demonstrieren mit weithin sichtbaren Bannern, Redebeiträgen und dem in der Akademie hörbaren Schwabenstreich. Es hat Spaß gemacht.

Wir erleben jetzt eine spannende neue Lage. Wie das Wasser vieles durchdringt, selbst das Fels- und Anhydritgestein, sogar Tunnel vor Obertürkheim mit täglich 2,59 Millionen Liter, so bricht bei S21 die festgefahrene Blockade gegen den Umstieg immer stärker auf: Die Deutsche Bahn fordert durch ihre Konzernleitung in enger Absprache mit dem Bundesver-kehrsminister, das Umsteuern auf eine neue Konzernstrategie „Starke Schiene, Klimaschutz und Deutschlandtakt“. Gut so. Wir fordern gerade deshalb zwingend den Umstieg von S21. Der SWR meldet, dass der Deutschlandtakt mit Stuttgart 21 sogar Tübingen, Heilbronn und Ulm abhängt. Und Verkehrsminister Winfried Hermann beklagt den Verkehrsengpass durch S21, das eine Fehlinvestition sei und bleibe. Von der CDU ist ein Aufheulen nicht zu hören. Auf diese neue Lage ist einzugehen.

  • Gefördert hat sie der Bundesrechnungshof (BRH) durch seinen Bericht vom Januar 2019 anlässlich 25 Jahre Bahnreform und mit dem Bundesverfassungsgericht daran erinnert: Der Bund muss stetig für den Ausbau und Erhalt des Schienenverkehrs seine Gewährleistungsverantwortung erfüllen (Art. 87 e Abs. 4 GG) und im Bundesinteresse überwachen, auch wenn die Deutschen Bahn mit 100 % Staatsbesitz privatisiert ist. Die Aktivitäten des Staatskonzerns im Ausland und in schienenfremden Geschäften sind laut BRH von diesem Auftrag nicht gedeckt. Verkehrspolitik kann zwar vorrangig auf den Gewinn oder auf das Gemeinwohl ausgerichtet werden. Die Bundesregierung hat aber im Koalitionsvertrag zugesagt, dass „ nicht die Maximierung des Gewinns, sondern die sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der Schiene im Vordergrund“ stehen müsse.

Das Makabre  an S21 ist, dass es dafür nie einen Gemeinwohlbedarf gab,  nur den vermeintlichen privatwirtschaftlichen Gewinn, der längst in 5 Milliarden Euro Belastung des DB- Eigenkapitals zerschellt ist , in irrationalem Prestigedenken wurzelte und nach letzter Nachricht  aus dem Bahn-Aufsichtsrat zur Freigabe des Risikopuffers bis 8,2 Milliarden Euro führte. DB-Vize Pofalla hatte das noch im März als Spekulation zurückgewiesen, die Realität hat ihn eingeholt. Damit ist die Wirtschaftlichkeitsgrenze des Projekts von etwa 4,5 Milliarden  Euro um nahezu 100 Prozent überstiegen. Diese „komplett unwirtschaftliche“ Lage, von Thilo Sarrazin als ehemaligem DB-Insider im Verkehrsausschuss des Bundestages bestätigt, hätte den ehemaligen Finanzvorstand und jetzigen Bahnchef Richard Lutz seit jeher längst zum Veto gegen S21 veranlassen müssen – da hier aber Bund und Bahn versagten, begründet es den Tatverdacht der Untreue (näher dazu www.strafvereitelung.de).

  • Der öffentliche Meinungsumschwung für den Klimaschutz, entscheidend gefördert durch die weltweite Bewegung der Fridays for Future, ist mit der Europawahl und den dramatischen Verlusten der GroKo-Parteien zur Machtfrage Im klaren Eigeninteresse sind Unionsparteien und SPD genötigt, dieses Jahr noch zu beweisen, dass sie und wie sie zum Klimaschutz beitragen. Die öffentliche Zuspitzung braucht dabei auch gute Aktionen des zivilen Ungehorsams – gerade jetzt im Blick auf S21, Seite an Seite mit den Fridays for Future. In der zweiten September-hälfte muss etwas geschehen. Denn S21 ist das klimaschädlichste Infrastrukturprojekt weit und breit, weil es bis 2050 etwa 3,5 bis 5,6 Mio. Tonnen CO2-Belastung erzeugt, dazu 600 bis 1700 t Stickoxyd-Mehrbelastung und 560 bis 750 t mehr Feinstaub- belastungen, außerdem die Verschlechterung des Stadtklimas durch Bodenver-siegelung auf dem Gleisvorfeld und auf den Fildern und mehr.
  • Bundesverkehrsminister Scheuer hat mit Bahnchef Lutz seit Monaten über die neue Konzernstrategie verhandelt, deren Ergebnisse auf 180 Seiten dem Aufsichtsrat vorliegen, aber unverständlich noch geheim blieben. Hervorzuheben ist: Der Staats-konzern will mit der Strategie „Starke Schiene“ bis 2030 vor allem die Fahrgastzahlen pro Jahr in Fernzügen auf 260 Millionen verdoppeln und den Marktanteil der Frachtbahnen auf 25 Prozent steigern. Damit würden laut DB-Rechnung täglich 5 Millionen Pkw-Fahrten und 14000 Flugreisen vermieden, außerdem 13 Millionen Lkw-Fahrten pro Jahr wegfallen. Die neue Bahnstrategie soll in der Klimabilanz den Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands um 10,5 Millionen Tonnen pro Jahr herabsetzen.

Diesen beachtlichen Zielvorgaben würde durch Weiterbau von S21 sehr geschadet.

      • Ersetzt die nur achtgleisige Tief-Durchgangs-Haltestelle den sechzehn-gleisigen Kopfbahnhof, dann wird dadurch eine Kapazitätsminderung bewirkt, die – zumal im Störfall – ein riesiges Verkehrschaos verursachen wird, und zwar ohne Ausweich-möglichkeiten. Eine klimaschädliche Verlagerung des Schienenverkehrs auf die Straße wäre die Folge. Sollen ernsthaft die „Starke Schiene“ und mehr Klimaschutz kommen, fordert das also zwingend den Umstieg von S21. Es wäre irrsinnig, dies für den Großraum Stuttgart zu versäumen. Daher muss das neue Bahnkonzept auch für die Metropolregion Stuttgart gelten, denn keinesfalls dürfen Millionen Menschen gleichheitswidrig  mit ihren Verkehrs- und Lebensbedürfnissen wegen einer überholten S21- Planung übergangen werden.
      • Zum Deutschlandtakt: Der SWR-Bahnreport vom 18./19. Juni stellt fest:


Der Zielfahrplan Baden-Württemberg der DB (Stand Mai 2019) ermöglicht nicht den integrierten Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild, weil der Tiefbahnhof mit nur acht Gleisen und zu geringen Zulaufstrecken es nicht zulässt, von der Landeshauptstadt aus Großstädte wie Darmstadt, Heidelberg, Mainz, Nürnberg und Zürich im Halbstundentakt anzufahren. Das bestätigt auch Prof. Wolfgang Hesse, der gerade für die Eisenbahn-Revue International (ERI) einen Artikel verfasst hat, der den Deutschland-Takt und die Bausünden der Vergangenheit aufs Korn nimmt. Ich zitiere:
“Den größtmöglichen Fehler ist man gera­de im Begriff, sich in Stuttgart zu leisten.
Dort soll ein optimal dimensio­nierter und (noch) funktionstüchtiger 16-gleisiger
Kopf­bahnhof einem Tief­bahnhof mit ge­ra­de einmal der Hälfte der Gleise wei­chen
. Dass dies für einen guten integralen Taktfahrplan nicht ausreicht, kann man an den Fingern ab­zäh­len: Für 3 sich kreu­zende Linien des Fernverkehrs (d.h. 6 Züge, in beiden Rich­tun­gen gezählt) und 8 Ziele des Regional- und Nahver­kehrs braucht man 14 Gleise, dazu 2 als Reserve (für allfällige Störun­gen, Wartungsarbeiten, Sonderzüge etc.). Dies ergibt zusammen 16 Gleise, also exakt die Kapazität des bestehenden Bahnhofs.
In Stuttgart soll also – im Widerspruch zu allen modernen Infrastruktur-Projekten auf der ganzen Welt – mit einem gigantischen finanziellen Aufwand (….am Ende wahrscheinlich 10 Mrd. Euro oder mehr) vorhandene Bahn-Kapazität nicht erweitert, sondern zurückgebaut werden. Damit erweist sich „Stuttgart 21“ – neben den ande­ren bekannten Risi­ken (Schräglage, Brandschutz, Anhy­­drit, Überschwemmungen, …) als eine gigan­tische, kaum zu heilende Fehl­planung.“

      • Die Finanzierung der neuen Konzernstrategie „Starke Schiene“ ist im Aufsichtsrat der Bahn noch das heiße Eisen. Die früher schon gescheiterte Teilprivatisierung der größten Lkw-Spedition Europas, DB-Schenker, wird  erwogen, aber von Arbeit-nehmervertretern im Aufsichtsrat kritisiert. Die Regierung ist sich uneins, muss  aber den Staatskonzern schon wegen des vorrangigen Klimaschutzes massiv fördern. Die Bahn kann dazu nicht allein  durch Verkauf von Tochterfirmen wie Arriva und Schenker beitragen, sondern sollte zusammen mit dem Bund erkennen: Mindestens sechs Milliarden Euro-Ersparnisse lassen sich durch den Umstieg von S21 gewinnen: 

Der Stopp des S21-Weiterbaus ließe allein eine Kostenersparnis von fünf Milliarden Euro erwarten (Gutachten Vieregg-Rössler, Stand Ende 2017).

Diese Ersparnis vermindert sich durch seit 2018 verbrauchte Baukosten, erhöht sich aber um sicher zwei Milliarden Euro – wegen sechs Jahren weiterer Bauzeit zuzüglich schädlicher Langzeitfolgen durch schwere Betriebsstörungen (infolge Anhydrit, ungenügenden Brandschutz, Schäden durch schiefes Gefälle, Feinstaubbelastung       ( siehe DER SPIEGEL v. 22.06.2019, S. 103).

Für die Kostenbilanz ist auch das Rechtsgutachten von Prof. Urs Kramer wichtig, wonach dem Umstieg von S21 der ausgelaufene Finanzierungsvertrag nicht im Wege steht.

Ferner erinnern wir an die im Umstiegskonzept dargestellte alternative Nutzung der S21-Bauwerke: Dazu zählt ein Verkehrsnetz für Elektro-Lastentaxis, um Güter von den Stadträndern ins Zentrum der autogeplagten Stadt zu liefern.

      • Fazit:

Wird die neue Konzernstrategie „Starke Schiene, Klimaschutz, Deutschlandtakt“ im Sinne unerlässlicher Gleichbehandlung für die Metropolregion Stuttgart realisiert, dann ist jetzt der Umstieg von S21 einzuleiten. Dafür werden wir unsere konstruktiven Ideen an die Entscheider weitergeben und alle Kräfte fair und stark mobilisieren. Diese Bürgerbewegung, unsere Mitwelt und die Nachwelt haben es verdient, dass wir dran bleiben. Oben Bleiben. 

P.S. Thomas Wüpper beschreibt im Berliner Tagesspiegel vom 22.06.2019, wie er sich langfristig eine echte Verkehrswende finanziert vorstellt.