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Verwaltungsgericht Stuttgart
Postfach 105052 12.04.2019
70044 Stuttgart loe – 17/18
7 K 6274/18
In der Verwaltungsrechtssache
Sabine Schmidt gegen Landeshauptstadt Stuttgart
führe ich für die Klägerin Folgendes aus:
I.
Zum Rechtsgutachten von Prof. Dr. Urs Kramer vom 21.03.2019:
Der Vertreter der Klägerin führt gegen die DB AG beim VG Berlin eine UIG-Klage, die darauf zielt, anlässlich des Aufsichtsratsbeschlusses vom 26.01.2018 über den Weiterbau von Stuttgart 21 die dem zugrunde liegenden Tatsachen, insbesondere die behaupteten Kosten für den Fall des Ausstiegs aus S21 offen zu legen. Daraus resultierten Gespräche mit der Deutschen Bahn AG bzw. deren führenden Vertretern der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU). Sie ergaben, dass die DB AG geltend macht, der Ausstieg und Umstieg von S21 wäre ein Rechtsbruch, der sie sieben Milliarden Euro kosten würde. Der Unterzeichner hat daher als Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21 mit Herrn Prof. Dr. Urs Kramer bzw. mit der Universität Passau ein Rechtsgutachten vereinbart, das wegen der Bedeutung des Konflikts strengen wissenschaftlichen Standards zu entsprechen hatte.
Die Frage war insbesondere: Muss die Deutsche Bahn AG das Projekt Stuttgart 21 noch bauen, nachdem die Kostenobergrenze von 4,526 Milliarden Euro längst gewaltig überschritten ist und ein neuer Finanzierungsvertrag (FinV) nicht zustande kam?
- Das Ergebnis lautet: Der Finanzierungsvertrag zu S21 vom April 2009 verpflichtet die Projektpartner bei Überschreiten der vorgesehenen Kostenobergrenze nur dazu, Gespräche aufzunehmen. Diese „Sprechklausel“ bezweckt nicht nur den Austausch von Informationen, sondern auch die Einigung der Vertragspartner. Scheitern die Gespräche, schließt der Vertrag die Regeln aus, die für die Zeit bis Jahresende 2009 eine genaue Aufteilung der Kosten und den „qualifizierten“ Projektabschluss vorsehen. Sonst wird nichts festgelegt. Daraus schließt Prof. Kramer methodisch durch ergänzende Vertragsauslegung, dass der Finanzierungsvertrag von 2009 jetzt „ausgelaufen“ und niemand mehr zum Weiterbau und zur Vollendung von S21 verpflichtet ist. Und auch allgemeine gesetzliche Gründe ermöglichen den Umstieg von S21.
- Maßgebliche Rechtsgründe der Vertragsauslegung:
- Die Sprechklausel will den Konsens der Gesprächspartner bewirken. Auffällig schweigt sie indessen zu der Frage, was geschehen soll, wenn die Gespräche – wie hier – scheitern. Deshalb zählt der sonstige Vertragsinhalt.
- So besteht die vertragliche Durchführungspflicht (§§ 3,4 FinV) als gemeinsame Aufgabe für alle Partner, auch für die DB AG, nur mit genau begrenzten Beiträgen, nicht unbegrenzt. Weiter gilt, dass für die DB AG unkalkulierbare Risiken zu vermeiden und die Wirtschaftlichkeit des Projekts zu beachten sind (§ 2 Abs. 2 S.1FinV).
- Die Kostenfragen sind sonst sehr ausführlich geregelt (§§ 6ff.), ins-besondere auch, weil in § 8 Abs. 3 des FinV festgelegt ist, wer welche Kostenanteile am Risikopuffer zu tragen hat. Dieselbe Vorschrift schafft im Absatz 4 mit der Sprechklausel – für den Fall des Scheiterns der Gespräche – dagegen keinerlei Kostenfolgen. Dies ist als bewusste Entscheidung der Vertragspartner zu verstehen (GA S. 9). Verlaufen die Gespräche – wie hier – zur Durchführung und Finanzierung des Projekts erfolglos, widerspräche eine Pflicht zur weiteren Fortführung des Projekts sowohl dem bloßen Verweis auf die Gesprächspflicht als auch dem zentralen Maßstab zur Wirtschaftlichkeit (GA S. 11 f.). Folglich endet mit dem Scheitern des Konsenses die Pflicht zur Vollendung des Projekts, d.h. die Vertragspflichten zur Durchführung des Projekts sind „erledigt“. Auch Mehrkosten von S21 muss allein tragen, wer sie verursacht.
- Nach dem Rechtsgutachten führt auch die gewaltige Überschreitung der Kostenobergrenze des Projekts von 4,5 auf derzeit 8,2 Milliarden Euro nicht dazu, dass die „Geschäftsgrundlage“ des Vertrags wegfällt, weil den Vertragspartnern gerade für diesen Fall anvertraut wurde, ob und wie sie sich auf einen neuen Finanzierungsvertrag einigen. Die Bahn kann dann daher Mehrkosten des Projekts nicht gerichtlich auf die Projektpartner abwälzen, solange sie zur anteiligen Übernahme von Mehrkosten nicht bereit sind.
Beweis: Rechtsgutachten als Anlage (zweifach)
- Gesetzliche Rechtsgründe, an S21 festzuhalten, verneint der Gutachter.
Sie beziehen sich insbesondere auf das Eisenbahnrecht und auf das Haushaltsrecht:
- Das Eisenbahnrecht: Es schafft keine Pflicht, sondern nur ein Recht, nach einem Planfeststellungsbeschluss zu bauen. Dies bestätigt das Gesetz wie folgt: Der Planfeststellungsbeschluss für ein Vorhaben ist aufzuheben, wenn das Vorhaben nicht mehr durchgeführt wird (§ 77 S. 1 VwVfG), und er wird unwirksam, wenn er auf unabsehbare Zeit nicht mehr zu verwirklichen ist (BVerwG, Urteil v. 14.06.2016).
- Haushaltsrechtliche Aspekte: Die Projektpartner des öffentlichen Rechts, also Stadt und Land, können ferner gegenüber der DB AG geltend machen, dass sie sparsam und wirtschaftlich handeln müssen. Dabei sind die Kosten bestehender Handlungsoptionen, der Nutzen für das Gemeinwohl und mögliche Kosteneinsparungen vor dem Hintergrund der durch S21 bedingten Risiken und Funktions-mängel einzubeziehen (GA S. 17 f.). Stadt und Land sind also keineswegs verpflichtet, jegliche Finanzierungswünsche der DB AG zu erfüllen, um dadurch Bauruinen zu vermeiden. Die Projektpartner können aber auch nicht die Bahn zur Vollendung von S21 nach der derzeitigen Planung zwingen, soweit eine Neuausrichtung von S21 erheblich günstiger käme und die Stärkung des Schienenverkehrs dem Interesse der Metropolregion Stuttgart dient.
- Aktienrecht: Laut Aktienrecht könnte die Deutsche Bahn AG nur dann zur Fortführung von S21 verpflichtet sein, wenn sie dadurch weniger geschädigt würde als durch einen Ausstieg. Insoweit sind die Hinweise von Prof. Kramer auf den Ermessensspielraum der treuhänderischen Entscheider über das Vermögen des Konzerns relativiert durch das Gutachten von Prof. Bülte, der umfangreich die „nicht valide Tatsachenbasis“ und damit die Pflichtwidrigkeit der getroffenen Entscheidungen trotz der Unwirtschaftlichkeit des Projekts faktenreich untermauert.
- Auch das Verkehrsministerium des Landes bestätigt diese Sicht grundlegend
Dem erkennenden Gericht liegt das Schreiben des Verkehrsministeriums des Landes vom 15.02.2018 an das Regierungspräsidium Stuttgart zum Widerspruchsverfahren „Storno 21“ vor. Darin nimmt das Land auf Wunsch der Beklagten aufschlussreich zu der bei der 13. Kammer des VG rechtshängigen Klage der DB AG Stellung, mit der 65 % der Mehrkosten von S21 auf die Projektpartner abgewälzt werden sollen.
Auf Seite 4 des zitierten Schreibens wird die Position der Landesseite so umrissen, es handle sich beim FinV um einen öffentlich-rechtlichen Subventionsvertrag, der in § 8 Abs. 4 eine „ergebnisoffene Gesprächs-klausel“ enthalte, ohne dass für diesen Fall eine Nachschusspflicht vereinbart wurde. Weiter wird erläutert:
„Die Entstehungsgeschichte von § 8 Abs. 4 FinV zeigt, dass die Parteien die offene Formulierung der Sprechklausel ohne Zahlungspflichten bewusst gewählt haben. Aus der Aktenlage ergibt sich, dass im Zuge der entscheidenden Verhandlungsrunde am 18. und 19. Juli 2007 die DB sowohl auf die vom Land noch zunächst angebotene Vereinbarung einer Verhandlungsklausel mit Vertragsanpassungsrecht als auch auf eine von der DB selbst zuvor geforderte gemeinschaftliche Tragung des Risikos verzichtete. Dies lässt sich anhand der Aktenlage so erklären, dass die Landesseite weitere Beiträge im Umfang von insgesamt EUR 473 Mio. übernehmen wird. Mit der Verständigung über eine offene Sprechklausel verzichtete die DB damit auf die Vereinbarung eines Rechtsanspruchs auf eine Vertragsanpassung mit dem Ziel einer Beteiligung der Landesseite an weiteren Mehrkosten. Diese Regelung wurde bei den Verhandlungen zum FinV nicht mehr angetastet. …“
Zudem wird erklärt, weitere unbegrenzte Mehrkosten zu übernehmen, wäre für das Land auch haushaltsrechtlich nicht zulässig gewesen.
Allerdings ist dem diesseits anzufügen, dass die DB AG bzw. deren Eisenbahninfrastrukturunternehmen vertraglich nur genau begrenzte Zahlungen zu erbringen haben (siehe oben Ziffer 2 b sowie § 6 Abs. 1 a, § 8 Abs.3 FinV), so dass sie nach dem Scheitern der Gespräche über eine Neufinanzierung von S21 zum Weiterbau des Projekts nicht mehr verpflichtet ist.
II.
Entgegnung auf den Schriftsatz der Beklagten vom 28.02.2019
Auf die Ausführungen der Beklagten ist zu entgegnen, dass die vorgetragene Sachlage und dafür herangezogene Umstände von deren rechtlicher Würdigung zu unterscheiden sind. Die Beklagte vermischt dies unberechtigt, um die Klage dadurch als unbegründet darzustellen.
Der mit dem Bürgerbegehren vorgetragene Sachverhalt, dass verglichen mit der Ausgangslage bei Abschluss des Finanzierungsvertrags vom 2.4.2009 eine „grundlegend neue Sachlage“ eingetreten ist, stimmt unverändert.
Gemäß dem vorgelegten und in wesentlicher Hinsicht dargestellten Rechtsgutachten von Prof. Kramer wird die anhängige Klage aber nicht mehr auf einen „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ und daraus abgeleiteten Kündigungsrechten gestützt. Überzeugend ist die rechtsmethodisch treffende ergänzende Vertragsauslegung nach § 62 S. 2 VwVfG in Verbindung mit §§ 133, 157 BGB. Der Fall des Scheiterns der Gespräche bei Überschreitung des Kostenrahmens ist nämlich vertraglich bewusst offen gehalten und damit Vertragsinhalt geworden, wie oben dargestellt.
Hiernach dürfte es aus Rechtsgründen nicht mehr auf die diesseits geltend gemachten, erschwerenden Faktoren ankommen, die bereits das Festhalten am Finanzierungsvertrag unzumutbar machten, was auch zur Begründung des Bürgerbegehrens legitimierend herangezogen wurde. Deshalb sind folgerichtig auch die dagegen von der Beklagten erhobenen Einwendungen unerheblich.
Dazu gehört auch, dass sich die Beklagte nicht auf den Ablauf einer Frist zur Geltendmachung eines Kündigungsrechts berufen kann, weil es keiner förmlichen Kündigung, sondern nur einer förmlichen Klarstellung für den Ausstieg der Landeshauptstadt Stuttgart aus dem Finanzierungs-vertrag zu S21 bedarf. Die Deutsche Bahn AG baut S21 seit dem Scheitern der Gespräche des § 8 Abs. 4 FinV auf eigenes Risiko. Die Beklagte hat Vertragspflichten aus dem FinV nicht mehr zu erfüllen.
Auch der Einwand der Verwirkung, welcher der Beklagten letztlich (S. 9f.) verbleibt, kann nicht zum Zuge kommen. Auf den diesseitigen Vortrag auf Seite 17 der Klagebegründung ist zu verweisen. Jeder der Vertragspartner des FinV weiß zudem, dass die Gespräche zur Begründung einer Vereinbarung über neue wechselseitige Pflichten für die Fortführung von S21 gescheitert sind. Die Beklagte hat auch seit jeher gemeinsam mit der Landesregierung deutlich gemacht, dass sie keine neuen Zahlungspflichten eingeht. Und da die Beklagte selbst nicht behauptet, sie habe den hinsichtlich ihrer Zahlungspflichten beendeten Vertrag durch einen neuen ersetzt, dürfte der FinV für die Beklagte keine Primärpflichten mehr auslösen, soweit nicht entgegen der Erwartung Zahlungspflichten aus dem Rechtsstreit der DB AG über die Abwälzung von Mehrkosten auf die Projektpartner hervorgehen.
Das Bürgerbegehren ist nach dem Rechtsgutachten von Prof. Kramer als zulässig und die Klage als begründet anzusehen, weil der FinV nicht nur faktisch, sondern vor allem rechtlich nach dem eindeutigen Scheitern der nach § 8 Abs. 4 FinV geforderten Gespräche künftig keine bindende Wirkung mehr auslösen kann.
Der Bürgerentscheid kann und soll dies verbindlich regeln. Dies würde sich nur erübrigen, wenn sich der Gemeinderat der Beklagten diese Auffassung nach § 21 Abs. 4 Satz 2 GemO zu eigen machen würde.
Eisenhart von Loeper
Rechtsanwalt
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