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Unabhängiger Experte des Wirtschaftsstrafrechts Jens Bülte zu Stuttgart 21
Gegen Bahn-Entscheidungsträger muss wegen Untreue ermittelt werden
Im langjährigen Streit um Stuttgart 21 gibt es eine neue Lage: Der Experte für Wirtschaftskriminalität der Universität Mannheim, Professor Jens Bülte, stellt in einem umfangreichen Rechtsgutachten fest, wegen der Entscheidungen zu Stuttgart 21 müsse gegen die Verantwortlichen der Deutschen Bahn AG wegen des Anfangsverdachts der Untreue ermittelt werden. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte das im November letzten Jahres und im Februar 2018 abgelehnt – trotz der Ende Januar eingestandenen Bauzeitverzögerung von S 21 bis Jahresende 2025 und der Kostensteigerung auf 8,2 Milliarden Euro, die den prognostizierten unverzichtbaren Rahmen der Wirtschaftlichkeit des Projekts um rund 3,5 Milliarden Euro sprengt.
Auftraggeber des Gutachtens ist das Aktionsbündnis gegen S 21. Bündnissprecher und Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper legt besonderen Wert auf die Feststellung: Für den Gutachter versteht es sich, dass er sein Gutachten ausschließlich nach bestem Wissen und rechtswissenschaftlichen Maßstäben auf der Grundlage ihm zugänglicher und nachgewiesener Dokumente erstellt hat. Es ging gerade darum, mit unabhängiger hoher Qualität eine Wahrheitsfindung zu gewinnen, die sich für die Konfliktlösung eignet. Das Gutachten wurde am 12. April fertig gestellt und liegt seit dieser Woche der Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit 37 Seiten und 30 Anlagen (zusammen 330 Seiten) vor.
Ergebnisse, allgemein: Der Gutachter hält die Ermittlungen wegen Untreue jetzt für unaufschiebbar und erkennt dafür eine beeindruckende Vielzahl von Gründen. Sie erstreckt sich durchgängig auf die unterschiedlichen Stufen der Projektentwicklung. Da die Bahn die Funktion des öffentlichen Personenverkehrs und die Wirtschaftlichkeit sichern müsse, sei jede dafür nachteilige Entscheidung pflichtwidrig.
Schon beim Abschluss des Finanzierungsvertrags vom April 2009 habe eine belastbare Kostenkalkulation gefehlt. Die zugrunde gelegten Zahlen waren veraltet und zudem durch die vom Bundesrechnungshof 2008 erkannte Finanzierungslücke von 1,3 Milliarden Euro erschüttert, der Vertragsschluss war – so der Gutachter – eine Fehlentscheidung.
Das bestätigte sich wenige Monate später, als der Bahnvorstand 4,979 Milliarden Euro Kosten ermittelte und man nur durch 891 Millionen Euro dubioser „Einsparpotentiale“ den Projektausstieg vereitelte. Es liege nahe, dass die Einsparpotentiale „nicht hinreichend valide und lediglich als griffweise Schätzungen“ ermittelt wurden. Ferner sei auch die am 5. März 2013 vom Aufsichtsrat getroffene Entscheidung für den Weiterbau des Projekts ohne solide Kostenermittlung, auf die besonders die Experten aus dem Bundesverkehrsministerium gedrungen hatten, eine „besonders schwerwiegende Pflichtverletzung“ (Gutachten S. 18).
Im Sinne der Rechtsprechung des BGH habe man die Grenze vertretbaren Handelns überschritten:
„nach Art eines Spielers bewusst und entgegen der Regeln der kaufmännischen Sorgfalt eine … äußerst gesteigerte Verlustgefahr“ auf sich genommen, um „nur…eine höchst zweifelhafte Gewinnaussicht zu erhalten“.
Dr. Eisenhart von Loeper
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