S06-15 – 2017-11-30 – Brief an Bahn-Aufsichtsräte

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  • Erstellt am 30. November 2017

Für das Aktionsbündnis  gegen Stuttgart 21 sendet Dr. Eisenhart von Loeper am 30. November 2017 einen Brief an Dr. Richard Lutz und Ronald Pofalla.

Betreff: Ihre Sitzung am 13. Dezember 2017 wegen Stuttgart 21:
Altlasten, neue Lage und Bundesverfassungsgericht

Sehr geehrter Herr Dr. Lutz, sehr geehrter Herr Pofalla,

mit dem  vorstehenden Betreff und dem nachstehenden Schreiben habe ich mich an die Bahn-Aufsichtsräte gewendet und bitte Sie – wie schon mit Schreiben vom 22.11. geschehen, hier aber auch im Blick auf klar widerlegbare Argumente der Staatsanwaltschaft Berlin bezogen -  um Ihre Aufmerksamkeit:

Die öffentliche Betroffenheit über die durchgesickerten Ergebnisse des PwC-Gutachtens ist groß. Doch zu fragen ist, ob es nur eine wiederkehrende Krise als Altlast des Projekts ist oder ob S 21 damit in eine Sackgasse geraten ist, aus der Sie die Bahn nur durch Umsteuern auf eine sinnvolle Alternative befreien können. Wir erklären Ihnen dazu Folgendes:

  1. Dürfen Sie einen weiteren Absturz von S 21 ins rechtlich unzulässig Unwirtschaftliche zulassen? Oder dient es dem Wohle des Bahnkonzerns und der Allgemeinheit, die Projektalternativen ernsthaft zu prüfen, die etliche Milliarden Euro einsparen, um darüber mit den Projektpartnern zu verhandeln? Die Antwort sollte Ihnen unseres Erachtens „vernünftiger Weise“ –  wie es § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG sagt – nicht schwer fallen.

Ihr Infrastrukturvorstand, Herr Ronald Pofalla, hatte im Stuttgarter Rathaus am 27. Oktober 2017 noch betont, die Verträge würden eingehalten. Dazu darf ich als sein juristischer Berufskollege ergänzen, dass Ihnen für die DB AG nicht nur gegenüber den Bauunternehmern, sondern auch gegenüber den Projektpartnern Kündigungs- oder Anpassungsrechte bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse zustehen (clausula rebus sic stantibus, vgl. §§ 313 f. BGB, § 60 VwVfG). Solche sind jetzt jedenfalls eingetreten, weil die Wirtschaftlichkeit des Projekts dramatisch, nämlich um drei Milliarden Euro im Minus liegt. Das lässt sich durch keinerlei Einsparungen oder gar durch die ohnedies schwierige Klage gegen die Projektpartner ausgleichen. Zum Schutz der DB AG gilt jedenfalls, wie schon der Bundesrechnungshof erkennen ließ: Ein nicht finanziertes, erst recht ein objektiv unwirtschaftliches Projekt, das den Bahnkonzern fortlaufend vermeidbar schwer schädigt, darf nicht „erfüllt“, sondern muss beendet werden.

  1. Der Hinweis von Herrn Pofalla, der Finanzierungsvertrag zu S 21 könne nur im Einvernehmen der Partner beendet werden, gilt gewiss für die Einigung auf eine gemeinsame Alternative zu S 21, aber nicht für die fehlende Erfüllbarkeit des 2009 geschlossenen Finanzierungsvertrags. Abgesehen davon ist der Vertrag nichtig, folgt man dem Bundesverfassungsgericht, dass bei der DB AG nicht die Aufgabe, sondern die Organisationsform privatisiert ist (Urteil vom 7. November 2017, s. u. 3 c – im Gegensatz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2016). In der Konsequenz bleibt dann das für Hoheitsträger gültige Verbot der Mischfinanzierung nach Art. 104a GG maßgebend, so dass sich Vertragspartner und sogar von Amts wegen Gerichte darauf und auf eine daraus ableitbare Nichtigkeit der Projektfinanzierung stützen könnten. Das sollte für Sie ein Grund mehr sein, es angesichts der Zuspitzung der Lage nicht auf die Prozessführung ankommen zu lassen, sondern den Konflikt möglichst einvernehmlich zu bereinigen.
  2. Uns ist bewusst, dass es staatliche Instanzen gibt, die für den Vorstand und Sie im Sinne eines weiten unternehmerischen Ermessens die Auffassung vertreten, nur „klare und deutliche Fälle pflichtwidrigen Handelns“ seien aktienrechtlich und strafrechtlich verboten. Nur wenn die Pflichtverletzung „evident“ sei und die Grenzen unternehmerischen Ermessens in „unverantwortlicher Weise“ überspannt würden, sei dies unzulässig. Gerade jedoch nach neuerer Lage, aber auch im Hinblick auf Altlasten sehen wir für Sie jetzt die Chance, statt eines „Weiter-So“ auf eine verkehrspolitisch sinnvolle Alternative zu S 21 Wir nennen Ihnen dafür besonders folgende Fakten:
  3. Nach der sieben Wochen dauernden Streckenstilllegung der Rheintalbahn bei Rastatt ist allgemein klar und „evident“, dass ein Plan B auch für Stuttgart 21 bei Streckenstilllegungen infolge von Störfällen aller Art zwingend Ausweichmöglichkeiten gebietet. Sie lassen sich nicht durch S 21, sondern nur dann realisieren, wenn es mindestens zu einem Teil-Erhalt des Kopfbahnhofs kommt, siehe dazu die ARD-Sendung Plusminus vom 1. November 2017: daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/sendung-vom-01-11-2017-bahnbaustellen-100.html
    Es ist daher notwendig, die Kostenermittlung von PwC aufzustocken um Mehrkosten wegen Rückabwicklung oder Anpassung der Grundstücksverträge mit der Stadt Stuttgart inklusive vereinbarter Zinsen. Diese aufwändigen Vorsorgemaßnahmen werden das Projekt inklusive Risikopuffer über PwC hinaus deutlich steigen lassen.
  4. Wegen der Eintrittswahrscheinlichkeiten von Störfällen in Anhydrit- Tunneln genügt nicht der Hinweis, man habe bisher 60 Prozent der S21-Tunnelstrecken ohne Probleme im quellfähigen Anhydrit durchfahren können. Nach den in der Doktorarbeit von v. Rauh (2009) aufgelisteten acht Tunnelbauten im Anhydrit, die seit 1970 gebaut wurden, kam es in fünf Tunneln zu Betriebsschäden mit Sanierungsbedarf, beim Chienbergtunnel und beim Adler-Tunnel einige Jahre nach der Eröffnung. Das heißt für diese Fälle umgerechnet auf einen Tunnel: 62,5 Prozent Wahrscheinlichkeit der Streckenstilllegung wegen Sanierungsbedarf aller Tunnel in 24 Jahren. Die vier Tunnel der Metropolregion Stuttgart müssten dann alle sechs Jahre mit Streckenstilllegungen saniert werden. Dies ist gänzlich untragbar.
  5. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2017 erfordert eine Neuausrichtung zur Stärkung des Schienenverkehrs, weil hiernach (Urteil Rn 265) 87 e GG „in seinen Absätzen 3 und 4 GG eine bestimmte Form der Privatisierung vorsieht, nämlich eine Organisationsprivatisierung bei derzeit voller Eigentümerstellung des Bundes“. Die höchstrichterlich festgeschriebene öffentliche Aufgabe der DB AG lässt es umso weniger zu, die Grenze der Wirtschaftlichkeit (2009 bei 4,5 bzw. 4,7 Milliarden Euro veranschlagt) um mindestens drei Milliarden Euro zu sprengen und zugleich die Demontage des Schienenverkehrs entgegen Art. 87 e GG herbeizuführen. Wir zweifeln nicht an der „Evidenz“ der Pflichtverletzungen bei folgenden Fakten:

>> Wird der Umstieg von S 21 unterlassen, so fügt dies der DB AG einen sicheren Vermögensschaden von mindestens 4,5 bis 5 Milliarden Euro zu, wie früher schon erläutert. Keinesfalls lassen sich nach der neuen PwC-Berechnung Mehrkosten in Milliardenhöhe qua „Sprechklausel“ des Finanzierungsvertrags hereinholen oder geltend machen, das liege alles im Ungewissen und sei daher nicht pflichtwidrig.

>> Auf 20 Kilometern der geplanten S21-Tunnelstrecke entstehen durch das um 60 Prozent quellfähige Anhydrit „unüblich hohe Risiken für die Betriebstauglichkeit“ des Projekts, die „nicht beherrschbar“ sind und einen dauerhaft wiederkehrenden Sanierungsbedarf mit langzeitigen Streckenstilllegungen für die Stuttgarter Metropolregion verursachen können (siehe Ihr KPMG/Basler-Gutachten, S. 52,); unklar ist für uns, ob dieser Faktor von PwC hinreichend einbezogen wurde, zumal ein zu hohes Risiko für die Betriebstauglichkeit den Weiterbau nicht zulassen dürfte. Berufen Sie sich dagegen auf eine anderen externen Gutachter und warum ist das trotz der öffentlichen Aufgabe der DB geheim?
>> Die Reduzierung des Bahnhofs auf acht Durchfahrgleise schafft verfassungswidrig (Art. 87 e Abs. 4 GG) einen Leistungsabbau entgegen den Verkehrsbedürfnissen um 30 Prozent, der sich als dauernder Engpass für den Bahnverkehr, für die umweltfreundliche Mobilität der Menschen und damit auch für die Wirtschaft unvertretbar nachteilig auswirken würde. Die Evidenz dieser Feststellung ist besiegelt durch Ihnen bekannte Daten anderer Städte und ihrer Durchfahrgleise, so etwa durch die halb so große Stadt Karlsruhe (300.000 Einwohner) mit 14 Durchfahrgleisen und die Kleinstadt Bietigheim-Bissingen von 42.000 Einwohnern mit acht Durchfahrgleisen. Das Missverhältnis zu der Über-600.000-Einwohner-Stadt Stuttgart mit nur noch acht Durchfahrgleisen, die nicht erweiterungsfähig sind, könnte krasser kaum sein. Die Evidenz des Pflichtenverstoßes ist also eindeutig.
>> Statt sich am rechtlich zwingenden vorbeugenden Gefahrenschutz für Leib und Leben der Bahnreisenden zu orientieren, hat man „Zwangspunkte“ der S21-Lage zum Maßstab genommen, um andere Bahnen über- und unterzufahren: Mehr als sechs Meter Höhenunterschied mit 15 Promille, das ist eine sechsfach regelwidrige Gleis- und Bahnsteigneigung.  Das provoziert selbst nach amtlicher Auskunft (BT-Dr 18/ 5366) dauernd wiederkehrende Wegrollvorgänge mit Verletzten oder gar Toten. Dies mit S 21 in Kauf zu nehmen, ist absolut unverantwortlich und strafbar. Das  unternehmerische Ermessen kann natürlich die Legalitätspflicht – noch dazu bei Verfassungsgütern höchsten Ranges – nicht aufheben.
>> Wir verweisen auf unsere beigefügte Pressemitteilung vom 5. November 2017 und das zugrunde liegende Gutachten des Verkehrswissenschaftlers Karlheinz Rößler. Daraus gehen die klimaschädlichen Folgen eines  Weiterbaus  von Stuttgart 21 in den vor uns liegenden Jahren hervor. Durch riesigen Betonverbrauch und Verlagerung von Verkehr auf die Straße wurden bzw. werden bis zu 5,6 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt und – zumal in der „Feinstaubhauptstadt“ Stuttgart – dadurch Leben und Gesundheit der Menschen verstärkt unverantwortlich gefährdet. Dies widerspricht verbindlichen Klimazielen und könnte Sie auch als schädigender, pflichtwidriger Haftungstatbestand zum Nachteil des Bahnkonzerns belasten. Es geht hier auch um die Vorreiterrolle der Deutschen Bahn AG im Umweltschutz und damit um das Ansehen des Konzerns, das durch das nachhaltig klimaschädliche Projekt unwiederbringlich beschädigt würde. Bitte treten Sie anhand des Ihnen übermittelten Gutachtens dafür ein, dies nicht weiter zuzulassen.

  1. Bei einem Projekt, das im Ergebnis nachweislich schlechter ist als das Bestehende, gibt es bis zum bitteren Ende keinen „Point of no Return“. Bis zur etwaigen Fertigstellung der jetzt noch weiter hinausgeschobenen Fertigstellung von S 21 wird und muss der bestehende Kopfbahnhof  immer noch funktionieren und damit wäre auch dann noch ein „Return“ möglich und notwendig.

Hinzu kommt:

  1. Die zwei Verfahrensabschnitte 1.6 b sowie 1.3 a sowie – abgetrennt und noch völlig planlos  – 1.3 b (Filderabschnitt) sind von einer Planfeststellung gleich Genehmigung  weit entfernt.
  2. Das Revisionsverfahren der Stuttgarter Netz AG gegen das EBA beim Bundesverwaltungsgericht auf Durchführung eines Stilllegungsverfahrens für den Kopfbahnhof wird 2018 entschieden. Mögliche Folge: Die Bahn muss der SNAG und anderen Bewerbern die Weiterführung zumindest von Teilen des Bahnhofs ermöglichen.
  3. Auch die von der DB AG beantragte erneute Planänderung zum Brandschutz und Rettungswegen ist bisher wegen ungeklärter Fragen nicht genehmigt.
  4. Würde schlicht die „Macht der Fakten“ entscheiden, ob das Projekt weitergebaut werden soll, wäre dies ein schwerer, ja untragbarer Verlust an Rechtsstaatlichkeit, gerade durch Abbau des Schienenverkehrs, dessen Ausbau und Erhalt das Grundgesetz (Art. 87 e Abs. 4 GG) zusagt, und beim gefahrenträchtigen Gleis- und Bahnsteiggefälle wie dargestellt sowie durch 20 Kilometer Tunnelbauten im dafür nicht geeigneten quellenden Anhydrit mit unübersehbar langfristigen Schadensfolgen.
  5. Die bisher errichteten Tunnel sind nur im Rohbau vorhanden, aber nicht im Innenausbau (Gleise, Oberleitungen, Signale, sehr zeit- und kostenintensiv), siehe dazu näher das Gutachten Karlheinz Rößler vom 25. Oktober 2017, Quantifizierung der Treibhausgasemissionen des Projekts Stuttgart 21 (S. 45 ff.). In diesem Gutachten wird auf der Grundlage des Umstiegskonzepts weitergehend dargestellt, wieweit die Tunnel bei einem Umstieg von S 21 für den Zugverkehr nutzbar sein können und inwieweit erstaunlich viele umfangreiche Nutzungen für verkehrsfremde Zwecke möglich erscheinen (Seite 51). So können investierte Kosten, die zunächst im Falle des Ausstiegs vielfach nutzlos erscheinen, weil sie eine Kurskorrektur erfordern, doch anders als gedacht dauerhaft nützlich werden.
  6. Im Grunde mag mitunter die Sorge eines Gesichtsverlusts eine Abwehrhaltung gegen ein Umsteuern erzeugen. Das ist aber bei einem Unternehmen nicht anders als im Leben der Menschen: Auf der Höhe der Zeit kann nur bestehen, wer sich kreativ den Herausforderungen stellt. Dazu gehören die Energiewende sowie die klimafreundliche und ökologische Verkehrswende, für die wir auch für kommende Generationen Verantwortung tragen.
  7. Im Ergebnis fordern wir Sie hiermit freundlich auf, jegliche Erhöhung des im März 2013 aufgestockten Finanzrahmens von S 21 über 6,526 Milliarden Euro hinaus abzulehnen und den Projektpartnern mitzuteilen, dass eine Einigung über sinnvolle kostensparende Alternativen zu S 21 angesteuert werde.

Wir bitten Sie, uns im Sinne der Ihrerseits wahrgenommenen öffentlichen Aufgabe die Ihnen vorliegende neue PwC-Studie zugänglich zu machen. Auch bieten wir Ihnen an, unser Konzept für einen Umstieg zu erläutern – zum Beispiel im Rahmen der wohl geplanten Workshops von Vorstand und Aufsichtsrat zu S 21.

Wir wünschen Ihnen im Interesse der Deutschen Bahn, der Allgemeinheit und für Sie selbst die Kraft und den Mut, jetzt die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Als Freunde der Bahn werden wir hierzu weiter beitragen.

In diesem Sinne grüßt Sie freundlich

Eisenhart von Loeper
Sprecher des Aktionsbündnisses

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